Wie in Hamburg mit Enteignungsfantasien Ängste geschürt werden

Wie in Hamburg mit Enteignungsfantasien Ängste geschürt werden

Kommenden Mittwoch will die Bürgerschaft mit rot-rot-grüner Mehrheit beschließen, dass die Stadt leerstehende Immobilien ohne Zustimmung der Eigentümer:innen für die Unterbringung von Geflüchteten nutzen kann. Da das Wort „Enteignung“ im Raum steht, schlagen die Wellen hoch. Nicht alle Parteien nehmen es dabei aber mit der Wahrheit so ganz genau.

Die Regelung ist ein zweiter Aufguss: Während der sogenannten „Flüchtlingskrise“ hatte die Bürgerschaft 2015 unter rot-grüner Führung ein „Gesetz zur Flüchtlingsunterbringung in Einrichtungen“ verabschiedet, das bis März 2017 galt. Hamburg durfte leerstehende Gewerbeimmobilien gegen Entschädigung einziehen und vorübergehend zur Unterbringung Geflüchteter nutzen. Der Clou daran: Infolge des Gesetzes gab es keine einzige „Sicherstellung“ eines Gebäudes. Schon die Beschlagnahme-Drohung brachte die Besitzer:innen ungenutzter Immobilien an den Verhandlungstisch und führte zu vernünftigen Überlassungsverträgen.

44 Stadtteile in Hamburg beherbergen keine Sammelunterbringungen für Geflüchtete

Nun platzen die vorhandenen Unterbringungsmöglichkeiten erneut aus allen Nähten. Fast 50.000 Menschen sind in den total ausgelasteten öffentlichen Unterkünften in Hamburg untergebracht. Tendenz steigend. Doch die Notlage ist auch hausgemacht. 2017 kündigte die SPD an, dass in Zukunft „gerade auch in wohlhabenden Quartieren Flüchtlinge untergebracht werden. Diese Unterkünfte werden vielleicht teurer sein oder es wird rechtlich komplizierter, aber der soziale Frieden in der Gesamtstadt ist uns das wert. Es kann bis zu 300 Unterkünfte geben, die gerecht über ganz Hamburg verteilt werden.“

44 der 104 Hamburger Stadtteile beherbergen überhaupt keine Sammelunterbringungen, darunter, vor allem und kaum überraschend, Nobel-Quartiere wie Blankenese, HafenCity, Nienstedten, Rotherbaum und Wellingsbüttel. „Hätte die SPD wie versprochen 300 Unterkünfte gebaut und gerecht über die Stadt verteilt, würden wir heute nicht über Beschlagnahme, sondern über Integrationsmaßnahmen sprechen, die aus dem Blick geraten, wenn sich alles um die Unterbringung dreht“, klagt Klaus Schomacker, Sprecher des Bündnisses „Initiativen für erfolgreiche Integration“.

Senat will gewerbliche Hallen und ähnliche Gebäude nutzen

Stattdessen sollen nun – befristet bis März 2026 – Gebäude-Sicherstellungen als letztes Mittel greifen, wenn alle anderen Möglichkeiten, die Unterbringung in Hallen, städtischen Immobilien, Hotels und nun sogar Zelten, ausgeschöpft sind. Der Senat räumt dabei selbst ein, dass er damit „das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung“ (Art. 13 des Grundgesetzes) einschränkt.

Unverletzlichkeit der Wohnung? Im Prinzip können alle Arten von Grundstücken und Immobilien in Anspruch genommen werden, auch leerstehende Mehrfamilienhäuser oder gar Einzelwohnungen. Doch die stehen erneut nicht im Fokus. „Es ist das Ziel, insbesondere gewerbliche Hallen und ähnliche Gebäude, die in sehr kurzer Zeit für eine Unterbringung von einer möglichst großen Zahl von Menschen geeignet sind (…), in Anspruch nehmen zu können“, betont der Senat.

MOPO-Kolumnist Marco Carini.
Florian Quandt

MOPO-Kolumnist Marco Carini.

CDU-Chef Dennis Thering lehnt erwartungsgemäß „dieses ‚Enteignungsgesetz‘ ab“, da dadurch „die Akzeptanz in der Bevölkerung spürbar weiter sinken und die Integration so immer weiter erschwert wird“. Die Linke, die neben den Begriff „Eigentum“ stets reflexhaft das Wort „verpflichtet“ stellt, ist entschieden für die Beschlagnahme, die sie selbst schon lange fordert. „Es gibt zu viele brachliegende Gewerbeflächen, die jetzt einer sinnvollen Nutzung zugeführt werden müssen“, signalisiert ihre Bürgerschaftsabgeordnete Carola Ensslen Zustimmung zu dem Gesetzentwurf.

Derweil nutzt die AfD das Thema für einen Propagandafeldzug, indem sie Ängste schürt. So schickt ihr Co-Fraktionschef Alexander Wolf in einer als Presserklärung getarnten Fantasiereise die Staatsgewalt in bewohnte Wohnhäuser und Wohnungen, „um amtlich zu prüfen, ob da nicht irgendwo ein paar Zimmer für Asylbewerber abgegeben werden können“. Über den irreführenden Zeilen der AfD-Erklärung prangt dann auch nicht das Foto eines Gewerbeobjekts, sondern das Bild eines Wohnvillen-Ensembles am Blankeneser Süllberg.

Das könnte Sie auch interessieren: „Aufstand der Anständigen“: Hamburgs Kampf um die Demokratie

Das hat Methode. Schon 2016, nachdem die Enteignungsklausel erstmals in Kraft getreten war, behaupteten diverse rechtslastige Internetportale, Hamburg habe mehrere Wohnungsbesitzer enteignet, um in ihren Wohnungen zwangsweise Geflüchtete unterzubringen. Die Story ging viral, verbreitete sich auf den ultrarechten Webseiten wie ein Flächenbrand und war – wir ahnten es bereits – doch nur erstunken und erlogen.

Wie in Hamburg mit Enteignungsfantasien Ängste geschürt werden wurde gefunden bei mopo.de

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *