„Im Krieg töten – das tun Menschen wie ich und wie du“

„Im Krieg töten – das tun Menschen wie ich und wie du“

Seit einigen Wochen ist mitten in Bukarest, im Zentrum für zeitgenössische Kunst „Rezidența9“ in der Ion-Luca-Caragiale-Staße Nr. 32, eine Ausstellung mit Kriegsbildern zu sehen. Sie stellt die Grausamkeit des Kriegs und dessen verheerende Auswirkungen auf die Leben der Menschen in belagerten Gebieten zur Schau. Gleichzeitig lädt „Front“ zu einer Reflexion über die Welt ein, in der wir leben. Die Ausstellung präsentiert zwei Perspektiven: Jene des Fotografen Vadim Ghirda von der Presse- und Nachrichtenagentur Associated Press (AP) und jene der jungen transnistrischen Dissidentin, Fotografin und Autorin Larisa Kalik, die nun in Kiew lebt.

Ghirda hat in seiner über 30-jährigen Erfahrung viele bewaffnete Konflikte auf der Welt dokumentiert, darunter auch den in der Ukraine. Er blickt mit nüchternem Auge darauf, wozu Menschen imstande sind, was sie im Krieg einander antun, und hält es auf künstlerische Weise fest. Dabei scheut er den Blick auf Gräueltaten nicht – zerbombte Gebäude, Körperteile von Leichen, stark Verwundete. Für die Bilder, die die Verbrechen der russischen Belagerer von Mariupol im April 2022 zeigen, wurde der Bukarester gemeinsam mit dem AP-Team mit dem renommierten Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Das ist ein US-amerikanischer Medienpreis für herausragende Beiträge, der dem Nobelpreis oder den Oscars in der Filmindustrie gleichzustellen ist. Vadim Ghirda erhielt auch weitere wichtige Anerkennungen im Laufe seiner Karriere, wie das World Press Photo (2017) und den Prix Bayeux-Calvados für Kriegsfotografen (2022).

Larisa Kalik ist 26 Jahre alt und zeigt den Alltag an der Front des Kriegs in ihrer Wahlheimat. Sie setzt sich selbst für Freiheit ein, indem sie alles, was sie erlebt, fotografisch und schriftlich in Artikeln festhält und der internationalen Gemeinschaft bekannt macht. Ihre Bilder zeugen von Wärme und Freundlichkeit, ihre Texte von Mitgefühl. Mit 21 Jahren hat sie ein Buch über das Leben der Soldaten in der Armee in Transnistrien und über soziale Probleme in der separatistischen Region geschrieben. Das Regime beschuldigte sie des Extremismus. Sie musste Tiraspol verlassen. Mithilfe der Kamera versucht sie alles festzuhalten, „damit es nicht verschwindet”. Ihre Artikel sind u.a. in der britischen Publikation „The Guardian” zu lesen.

Für beide ist Fotografie ein Mittel, gegen den Krieg zu protestieren und die Betrachter gegen ihn zu motivieren. Aber auch eine Form, die Zeit festzuhalten, die Menschen und Orte, die abgebildet werden, über Jahrzehnte hinweg weiterleben zu lassen.

Bei der Vernissage ihrer Ausstellung Ende Februar sprachen sie mit dem neugierigen Publikum, darunter zahlreiche Fotografen, über ihre Arbeit, ihre Erfahrung und ihre Auffassung. Eine vollständige Aufnahme der Diskussion kann auf der Facebookseite der kulturellen Publikation „Scena9“ verfolgt werden.

Dem Krieg direkt ins Auge schauen

Zwei große Bilder fallen sofort auf, wenn man „Rezidența9“ betritt. Auf der einen Seite sieht man, so groß wie die ganze Wand, einen jungen Mann mit kurzen Haaren in einem See. Er liegt auf dem Rücken und raucht. Das Foto hat eine gewisse Ruhe und Schönheit. Der Bildbeschriftung entnimmt man, dass es die letzte Zigarette vor seinem Einsatz ist.

Auf der gegenüberliegenden Seite ein anderes großes Bild: Es stellt einen Wald dar, darin ein großer Haufen aufgewühlter Erde und ganz klein, mitten im Bild, ein rotes Tuch. Nähert man sich dem Exponat, bemerkt man, dass es ein Halstuch ist, am Halse eines Mannes festgebunden. Es wird klar: das Foto zeigt eine Leiche, bzw. den Kopf einer Leiche, die dort begraben ist. Neben diesem Bild hängt ein anderes, das man vor zwei Jahren in den Medien oft gesehen hat. Es zeigt die Hände eines verstorbenen Mannes, die mit Tesa-Band am Rücken zusammengebunden sind.

Den schweren Anblick wagen

Diese Darstellungen treffen direkt in die Seele, in den Magen. Man will sich übergeben, weinen, von der Ausstellung weggehen, für Frieden beten oder in die Welt der sozialen Medien flüchten – vielleicht alles auf einmal. Man fragt sich, wieso es möglich ist, dass Menschen andere Menschen ermorden, wieso Leute für Land, für „Ideale“ oder für „Würde“ bereit sind, so viel Leid anzurichten;  Kindern, Frauen und Männern das Leben zu zerstören oder zu nehmen.

Trotz des schweren Anblicks ist es aber wichtig, Bilder vom Krieg zu sehen. Um zu verstehen und wahrzunehmen, was passiert. Um vielleicht eines Tages nicht mehr gegeneinander anzutreten…

„Das Kriegsfoto ist ein verrückter Akt des Widerstands“ steht im Vorstellungstext der Ausstellung, die die Fotografin Ioana Cîrlig kuratiert hat. Es strahlt Terror, Ungerechtigkeit, Qual und Zerstörung aus und, irgendwo, ganz schüchtern, ein bisschen Hoffnung. „Es ist eine Art Hoffnung, dass irgendwann mal ausreichend viele Menschen auf dieser Erde verstehen werden, dass es nicht nötig ist, einander umzubringen”, hofft Vadim Ghirda. Er zeigte sich schockiert darüber, dass all diese Taten von Menschen begangen werden: „Im Krieg töten, das tun Menschen wie ich und wie du”. Das habe er in den 34 Jahren an den Fronten in Transnistrien, Ex-Jugoslawien, Irak, Syrien, bei den Konflikten zwischen Israel und Palästina erfahren. Die Bereitschaft der Menschen, anderen Böses anzutun, habe ihm die Lebenslust und das Vertrauen in die Menschen geraubt.

Dennoch verrichtet er weiterhin seine Arbeit, weil er weiterhin hofft. Kalik legt die Kamera auch nicht weg. In ihrer Erfahrung mit Leuten an der Front hat sie sehr viel Grausamkeit gesehen, „aber auch viel Güte. Es ist nicht alles verloren, wenn außer der Grausamkeit Güte ist“, unterstrich sie.

Mitgefühl oder Gleichgültigkeit?

Schon 2002 schrieb die amerikanische Schriftstellerin, Regisseurin und Menschenrechtsaktivistin Susan Sontag in „The New Yorker”: „Wer glaubt heute noch, der Krieg lasse sich abschaffen? Niemand, nicht einmal die Pazifisten“. Bilder sollten bei den Betrachtern Mitgefühl auslösen und eine kollektive Ablehnung des Kriegs bewirken. Doch haben sie nicht etwa dadurch, dass die Medien davon überflutet sind, den Betrachter abgestumpft?

Scrollen und Zappen helfen einem bei der Flucht vor der bitteren Wahrheit, vor Bildern von verstümmelten Menschen und zerschmetterten Leben.

Der Gefahren nicht immer bewusst

Vadim Ghirda war 19 Jahre alt, als er die Bergarbeiterüberfälle (Mineriade) in Bukarest fotografisch dokumentierte. Damals sah er zum ersten Mal einen toten Menschen neben sich liegen. Seither arbeitete er für die AP. Auch Larisa Kalik berichtete schon als sehr junge Frau über Krieg. Jugend sei bestimmt ein entscheidender Faktor für Leute, die sich im Krieg als Journalisten, Fotografen, Fahrer oder Übersetzer einsetzen, meint Ghirda. Die Teams, in denen er bei jedem Einsatz vor Ort arbeitet, bestehen oft aus jungen Menschen, die sich der Risiken, die sie eingehen, häufig nicht bewusst sind. Er sprach von der Sorge, die er für diese Leute trägt, weil sie aus Unwissenheit und Unerfahrenheit fatale Fehler machen können.

Seriöse Agentur erleichtert die Arbeit

Um den Krieg zu dokumentieren, sind enorm viele Genehmigungen vom Militär nötig. Die komplexe Infrastruktur hinter jedem Einsatz wird, im Falle eines Angestellten, wie Vadim Ghirda, von der Agentur zur Verfügung gestellt. Freischaffende wie Larisa Kalik  hingegen sind auf sich selbst gestellt und müssen die komplexen bürokratischen Hürden alleine meistern. Das dauert und ist erschöpfend. Von der Front als Freischaffender zu dokumentieren ist auch extrem teuer, es kommen Kosten für Mietwagen, Hotel, Übersetzer, unterstützende lokale Journalisten (sogenannte Fixer) und Chauffeure auf. Die junge Wahlukrainerin hat es dennoch geschafft, jeweils mehrere Wochen als Freiwillige mit Truppen zu verbringen und diese zu unterstützen. „Ich bin ruhiger, wenn ich das Gefühl habe, auch nur ein wenig helfen zu können.”

Der Vorteil, die Sprache zu kennen

„Sie sehen mich wie eine Schwester, eine Frau“, hat die Mittzwanzigerin festgestellt. Dadurch, dass sie ihre Sprache spricht und auch viel Zeit an der Front verbringt, wurde sie schnell aufgenommen. Sie geht in Einsatz mit den Truppen, pflegt die Verwundeten, lacht mit ihnen. Das schafft Nähe und Vertrauen. Ihre Texte über den Krieg in der Ukraine sind in der russischen Internet-Exilzeitung „Meduza“ zu lesen. In rumänischer Sprache liest man sie in der Publikation „Scena9“, die hauptsächlich über das Kulturleben in Rumänien berichtet.

Für ausländische Fotografen, die die Sprache nicht kennen, ist der Übersetzter essentiell. Von seinen Kommunikationsfähigkeiten hängt der Erfolg oder Misserfolg des Tages ab. Er ist ein Mediator, baut die Beziehung zu den Menschen vor Ort auf, muss Vertrauen schaffen, dort wo Misstrauen herrscht. Daher verdienen sie Würdigung, genauso wie jedes andere Teammitglied, denn jeder trägt seinen eigenen Teil zum Gelingen des Einsatzes bei. 

„Front” ist noch bis Sonntag, den 31. März, geöffnet, soll aber in Zukunft in verschiedenen Städten des Landes ausgestellt werden. Denn Kriegsfotografie muss gesehen werden. 

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