„Sorry, kein Bargeld …“ Warum bei Straßenverkäufer Thomas diese Ausrede nicht zieht

„Sorry, kein Bargeld …“ Warum bei Straßenverkäufer Thomas diese Ausrede nicht zieht

Die Hamburger zahlen immer seltener mit Bargeld – einfach, weil es unpraktisch ist. Für eine Gruppe ist diese Entwicklung fatal: Obdachlose und Verkäufer von Straßenzeitungen wie „Hinz&Kunzt“. Die ersten rüsten technisch auf – mit großem Erfolg. Leider ist das für die meisten unmöglich.

Dienstag, 14 Uhr: Jeden Tag beginnt Thomas hier im Restaurant „Napoli da Remo“ am Schulterblatt (Sternschanze) seine Verkaufstour. Immer mit dabei: sein Stapel „Hinz&Kunzt“-Magazine. „Sorry, ich habe leider kein Bargeld dabei“, sagt die Frau im Restaurant zu Thomas, der ihr gerade eine Ausgabe verkaufen will. Das hört er öfter. Er lächelt, zückt sein Kartenlesegerät und erwidert: „Das ist kein Problem. Sie können gerne mit Karte zahlen“. 

Das Kartenlesegerät wurde ihm von einem Stammkunden geschenkt. Die Zeitschriften zu verkaufen, das sei für ihn wie Therapie. Es gibt ihm eine klare Routine. Je nach Karte fällt eine Gebühr von circa ein bis zwei Prozent an, aber es lohne sich für den „Hinz&Kunzt“-Verkäufer trotzdem: „Seit ich das Gerät habe, verdiene ich pro Monat bestimmt 100 Euro mehr“, erzählt er. 

Deutschlandweit: Kaum einer will mehr mit Bargeld bezahlen

Kein Wunder. Immer mehr Deutsche zahlen digital mit Karte, Handy, Smartwatch und Co. Eine Statistik der Deutschen Bundesbank zeigt: Innerhalb von vier Jahren ist der Anteil der Bargeldzahlungen an der Supermarktkasse um ganze 16 Prozent gesunken. 2021 lag er damit nur noch bei 58 Prozent. Aktuellere Zahlen veröffentlicht die Bundesbank erst im Sommer. Aber der Trend der vergangenen Jahre ist eindeutig. Das Bargeld im Portemonnaie wird weniger.

An wen viele dabei nicht denken: obdachlose Menschen, die darauf angewiesen sind, dass Passanten Bargeld dabei haben und spenden. Ralph lebt seit 29 Jahren auf der Straße. Den Satz „Ich habe kein Bargeld“ kennt auch er nur zu gut. „Ich höre das am Tag mindestens fünf Mal.“ Die Bargeldsituation sei in den vergangenen Jahren immer schwieriger geworden „Das ist schon noch mal ein bisschen krasser als vor fünf Jahren“, sagt er. 

Ralph lebt seit fast 30 Jahren auf der Straße. Auch er kennt das Problem.
Zoe Clausen

Ralph lebt seit fast 30 Jahren auf der Straße. Auch er kennt das Problem.

Abgesehen von der Bargeld-Problematik haben die Corona-Krise und der Ukraine-Krieg dafür gesorgt, dass die Situation auf Hamburgs Straßen ohnehin deutlich härter geworden ist. Die Zahl der Obdachlosen stieg von knapp 19.000 Menschen im Jahr 2022 auf mehr als 32.000 im Jahr 2023. Die tatsächliche Zahl der Obdachlosen wird sogar auf gut 45.000 geschätzt, so das Magazin „Hinz&Kunzt“ auf seiner Internetseite. 

„Vielleicht sollte ich mir einfach ein Kartenlesegerät kaufen“, sagt Ralph ironisch und lacht. Denn was für Thomas funktioniert, weil er einen festen Wohnsitz hat, ist für die meisten Obdachlosen aus verschiedenen Gründen undenkbar.

Warum ein Kartenlesegerät nicht für alle eine Lösung ist

„Das wird innerhalb von zwei Tagen geklaut“, sagt Ronald Kelm, medizinischer Koordinator des Gesundheitsmobils. „Außerdem bräuchte man dafür ein Konto“, entgegnet sein Kollege Niklas Berger. Theoretisch hat zwar jeder in Deutschland das Recht auf ein Konto, allerdings scheitere es häufig an der Durchsetzung. Es gebe sowieso schon zu wenig Sozialarbeiter, da bleibe neben zahlreichen Behördengängen keine Zeit für Diskussionen mit Banken.

Für viele kommt ein Kartenlesegerät nicht in Frage.
/ Florian Quandt

Für viele kommt ein Kartenlesegerät nicht in Frage.

Diese Schwierigkeiten kennt auch Jörn Sturm, Geschäftsführer von „Hinz&Kunzt“. Das Konzept des Magazins ist einfach: Die Zeitschriften werden von einer professionellen Redaktion gestaltet. Obdachlose, Wohnungslose, Ex-Obdachlose und Menschen, die auf das zusätzliche Einkommen angewiesen sind, können die Zeitschriften vor Ort kaufen und dann für den doppelten Preis auf der Straße wieder verkaufen.

Bei „Hinz und Kunzt“ soll man bald überall mit Paypal zahlen können

Alle 500 Verkäufer mit einem Kartenlesegerät auszustatten, komme nicht in Frage, allein schon aus Kostengründen. Es ist bereits möglich, Zeitschriften über die Plattform Paypal zu bezahlen, allerdings wird das in der Praxis von nur etwa zehn Verkäufern genutzt. Das Problem: Auch bei Paypal muss ein Konto hinterlegt werden. 

Daher soll es künftig einen gemeinsamen Paypal-Account geben. Die Einnahmen sollen dann vor Ort bei „Hinz&Kunzt“ bar ausgezahlt werden. Das könne erstmal abschreckend wirken, sei aber eigentlich gar nicht so schlimm. „Wer unsere Zeitungen verkauft, muss sowieso regelmäßig vorbeikommen, um neue Magazine nachzukaufen“, sagt der Geschäftsführer. Er hofft, dass das neue Zahlungsverfahren im Laufe des Jahres realisiert werden kann, damit möglichst viele Verkäufer unabhängiger von Bargeld werden – so wie Thomas.

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Seine Kundin in dem Restaurant am Schulterblatt reagiert, wie die meisten, erst irritiert auf das Lesegerät, zückt dann aber doch ihre Karte. Man hört das typische Geräusch, die 2,20 Euro wechseln ihren Besitzer und die Frau bekommt ihre Zeitschrift. So oder so ähnlich geht es bei Thomas jeden Tag zu. Seine Lieblingskunden bleiben trotzdem die, die bar zahlen – unkompliziert und ohne Gebühren.

„Sorry, kein Bargeld …“ Warum bei Straßenverkäufer Thomas diese Ausrede nicht zieht wurde gefunden bei mopo.de

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