Vitralien, Sgraffiti und Überzeugungen eines Menschenkenners

Vitralien, Sgraffiti und Überzeugungen eines Menschenkenners

Reichen Material und Werkzeug aus, einen Handwerker mit seiner Arbeit zufrieden zu stellen? Nein, da fehlt noch was Bedeutendes, findet Teodor Dogaru aus Broos/Or²{tie , von wo es ihn 1980 nach Hermannstadt/Sibiu zog. Dort lebt er bis heute, ist Anfang 60 und seit der Jahrtausendwende selbstständiger Anbieter und Einbauer von Fußböden und Innenwandbelägen einschließlich praktischer Nischen in unterschiedlichen Maßen. „Bauarbeit ist so schön, weil man mit Menschen zu tun hat. Wie viele Köche kennen eigentlich ihre Kunden und wollen tatsächlich erfahren, wer ihnen dankbar ist?“

Obwohl das Bistro „Consommé“ von Samuel Tatu keine fünf Gehminuten von seinem Atelier in der Kempelgasse/ Cojocarilor und Unterstadt entfernt liegt, weiß Teodor Dogaru nicht, dass just bei ihm um die Ecke ein leckerer und nicht unpersönlich servierter Happen verspeist werden kann. Es wimmelt glücklicherweise nur so von Freischaffenden im urigen Kern Hermannstadts, doch nicht alle, die hier auf eigene Faust berufstätig sind, wissen voneinander. Auch vom interaktiv buchbaren Druckerei-Museum MATS (Muzeu Atelier Tipografie Sibiu) etwa, in dessen Schubladen sogar manche Buchstabensätze des letzten großen und längst schon abgerissenen analogen Druckereibetriebs der Stadt bereitliegen, hat Sanguiniker Teodor Dogaru noch nicht gehört. Dafür weiß er so ziemlich genau, was für eine Story hinter dem Restaurant „Plai“ steckt: im auserlesenen Nachfolge-Lokal von Ioan Bebe{e-lea und seinem Hermannstädter „Syndicat Gourmet“ kommt auf den Tisch, was eine ausgebildete Wirtschafts-Expertin kreiert, die sich an die Kräuter-Spaziergänge ihrer Kindheits-Sommerferien bei der Großmutter auf dem Lande erinnert.

An seinen eigenen ersten Arbeitstag als Handwerker erinnert sich Teodor Dogaru sehr genau. „Es ging um das Gießen eines Bodens aus Beton im Hof meines Elternhauses in Broos.“ Zu einer Zeit, als in Rumänien der Malerton (rumänisch: „humă“) noch lange nicht ausgedient hatte. „Mindes-tens 13 Komponenten“ stecken in einer heute handelsüblichen abwaschbaren Farbe („lavabil“) , klärt der Chef des Hermannstädter Dienstleistungsunternehmens „Condeco SRL“ für Endausfertigung von Neubauten auf. Handwerklich erwachsen geworden ist er in seiner Heimatstadt als Zeitgenosse eines Malers, der Farben „wie ein richtiger Chemiker“ eigenhändig mischte und mit laut klapperndem Drahtesel langsam von Gasse zu Gasse fuhr. Weil alles vorsichtig ohne Herunterfallen auf Lenkstange, Rahmen und Gepäckträger transportiert werden wollte: „zehn Metalleimer“, noch mehr Werkzeuge und natürlich die im passenden Verhältnis ohne elektrisches Mischgerät zu verrührenden Stoffe und Pigmente. Knochenleim („clei de oase“) soll ein beliebtes Bindemittel gewesen sein, doch im schwarzen Kommunismus der 80er-Jahre etwa habe man sich mit billigem „aracet“ begnügt, mit einem vormals in Arad hergestellten Klebstoff auf Azetat-Basis. Und Teodor Dogaru weiß, dass noch etwas früher mit Kasein aus Kuhmilch statt Knochenleim gearbeitet wurde.

Vom Lernen ohne Meister

Künstlerisch ausgebildet ist Teodor Dogaru nicht. In der Bibliothek seines Ateliers in einem Hinterhof der verkehrsarmen Kempelgasse aber hat er thematisch breit gestreute Bücher über Architektur und das ein oder andere Standardwerk über Großmeister wie Francisco de Goya oder den niederländischen Täuschungs-Grafiker Maurits Cornelis Escher stehen. Interpretations-Freak der Skulpturen von Constantin Brâncuși und leidenschaftlicher Theatergänger ist er außerdem. Also kann er mit Fug und Recht behaupten, sich vieles, was auch sein Handwerk letztlich zur Kunst macht, autodidaktisch beigebracht zu haben. Ein Allrounder und Wissbegieriger, der jede Menge gesehen, gelesen, gemeistert, zu erzählen und trotz seiner über 60 Jahre noch immer nicht genug erfahren hat. Vitralien und Sgraffiti baut er am liebsten.

Nicht überdurchschnittlich kapriziös ist sie, die dem Namen nach italienische Technik, besonders Außenwände mit einem „Kratzen“ im Putz bildnerisch aufzuwerten. Sehr alt, aber effektvoll. Teodor Dogaru verortet ihre Anfänge in der Antike, also noch lange vor dem Mittelalter und der Renaissance, die architektonisch auch in Siebenbürgen Fuß fasste. Der Trick bestand und besteht darin, der Wand mehrere Schichten Putz aufzutragen, ihnen nach Trocknung papierene Schablonen aufzulegen, die gewünschten Reliefs in die Wand einzuarbeiten und Farben aufzutragen. Stuckaturen, die aus der Entfernung von Bildern auf ebener Fläche nicht mehr wirklich zu unterscheiden sind.

„In Broos war ich Schüler an einem Gymnasium für industrielle Berufszwecke, ja.“ Rückwirkend jedoch ist Teodor Dogaru seiner Jugend im kommunistischen Rumänien, das für Berufsausbildung viel übrig hatte, nicht wirklich dankbar. Denn die Sucht von Eltern nach Hochschulzeugnissen für ihre Kinder soll damals schon stark genug floriert haben, um beim Meister in einer Fabrik in Broos den Eindruck zu erwecken, dass es keinen Sinn macht, den Schüler vom Gymnasium echt in die Arbeit einzuspannen. „Zigaretten einkaufen schickte er mich stattdessen, und stolz auf seinen Handwerk-Dienst war er auch nicht.“

Für und Wider des Feierns

Es käme nicht von ungefähr, dass Eltern in Rumänien sich zum Zeitpunkt, wo das eigene Kind um die 12 oder 13 Jahre alt wird, anhören müssen, in welchen Unterrichtsgegenständen es hapert. „Das wird bei uns betont: das Kind ist nicht gut für Mathematik, nicht gut in dem oder einem anderen Fach, und dann wird es mit Nachhilfestunden zugedeckt.“ Als Vater zweier Kinder, die heute beide erwachsen und selbstständig sind, weiß Teodor Dogaru nur zu genau, dass frühzeitiges Streuen von hochdosiertem Salz in die Lernwunden hierzulande seine Tradition hat und nicht erst seit ein paar wenigen Jahren üblich ist. Und in Deutschland laufe die Sache gezielt andersrum.

Das großzügige Stück Hilfe, dass die bundesdeutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (gtz) vor Jahren in Hermannstadt leistete, liegt ihm frisch wie am ersten Tag im Gedächtnis. „Ach, das läuft hier ja alles wunderbar wie bei uns zuhause!“, hat Teodor Dogaru die Mainzer Kollegen regelmäßig staunen gehört. Dass er ihnen jeweils antwortete, der Eindruck täusche, hatte kein Echo. Schwer begeistert dagegen sollen die Partner aus Mainz auch von den nächtlichen Feier-Gelagen mit ihren Gastgebern gewesen sein, die „so richtig wie bei Rumänen“ vonstatten gingen. „Ca la români!“ Beim Gegenbesuch in Mainz überzeugte Teodor Dogaru sich vom allzu beschönigenden Blick, dem die Bundesdeutschen in Hermannstadt aufgesessen waren. „Erreicht es das Alter von 12 bis 13 Jahren, wird in Deutschland auf die Stärken des Kindes gezeigt.“ Während „sie bei uns eigentlich nur das Geld-Ausgeben lernen und als Achtzehnjährige noch immer ganz unselbstständig dastehen“, würden ihre Altersgenossen in Deutschland als Lehrlinge schon genug Geld verdient und gespart haben, um sich „ihr Wunsch-Auto“ kaufen zu können. Weil sie hart darauf hingearbeitet statt regelmäßig die halbe Nacht durchgefeiert hätten. So erklärt Handwerker   Teodor Dogaru den steigenden Hass verwöhnter Jugendlicher auf die Gesellschaft. „Ai noștri sunt dușmănoși pe societate!“

Mit seinen Vitralien für Wohnblock-Treppenhäuser oder Korridore in Schulgebäuden versucht er klarzumachen, dass es durchaus Sinn ergibt, die Konditionierung des Mensch-Seins unter Menschen ernst zu nehmen. Ganz gleich, ob man sich von ihm Vitralien mit Tieren, Pflanzen, allerhand technischen Konstruktionen, Zeichenfiguren oder menschlichen Gesichtern darauf wünscht: bei Teodor Dogaru ist die Kontur eines Lebewesens oder Gegenstands auch die eines anderen derselben Familie, geht eines ins andere über. So, wie man in den Wald ruft, hallt es auch wieder aus ihm heraus. Zu beachten auch bei Schlechtwetter, wie das Werbeblatt anmerkt. Entscheidend ist nicht Sonnen-, sondern das Tageslicht, und abends oder nachts sorgt die Innenraumbeleuchtung für einen Hingucker von draußen. Den Blick auf die langweilige Außenwand eines Nachbargebäudes bessert das allemal nach.

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