Aufrichtiger Einblick in das Leben der Bukowiner Juden „danach“

Aufrichtiger Einblick in das Leben der Bukowiner Juden „danach“

Im Rahmen der Eröffnung der Filmtage „In Erinnerung an den Holocaust“, die das Elie-Wiesel-Institut in diesem Jahr zum fünften Mal organisierte, wurde die restaurierte Fassung des Klassikers „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ von Volker Koepp gezeigt. Neben vielen jungen Menschen im prall gefüllten Kino-saal des Bauernmuseums in Bukarest waren auch der stellvertretende israelische Botschafter, Rami Teplitskiy, der deutsche Botschafter, Dr. Peer Gebauer, und Staatskanzleichef Alexandru-Mihai Ghigiu anwesend, die jeweils einleitende Worte sprachen.

Der Film „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ beginnt in einer engen Kneipe, viele Musiker mit unterschiedlichen Instrumenten stehen um den Primas, der den Ton an der Violine angibt, einige spielen auch Karten, trinken, andere beobachten den Kameramann, stehen an der Bar. Ist das etwa eine jüdische Melodie, die die „l²utari“ da spielen? Der Film zeichnet ein differenziertes Portrait des jüdischen Lebens in der Bukowina nach der Shoa und dem Fall der Sowjetunion. Er konzentriert sich auf das, was danach kam und jene, die noch da sind. Ankerpunkt ist dabei das ungleiche Duo der rüstig-heiteren Frau Zuckermann, einer pensionierten Englisch-Lehrerin, und des trocken-melancholischen Herrn Zwilling, der aus einer Medizinerdynastie stammt und als Physiklehrer tätig ist. Er besucht sie jeden Abend, erzählt von seinem Tag – meist nur Negatives – und sie gibt im etwas zu essen und heitert ihn auf. Dann schauen sie fern. Die wichtigste Einstellung im Film ist folgende: Herr Zwilling und Frau Zuckermann am Kachelofen sitzend, beide zu Regisseur Volker Koepp blickend, der hinter der Kamera sitzt und nachhakt und -fragt, immer sehr bedächtig. Manchmal noch liest uns Herr Zwilling aus der deutschsprachigen, jüdischen Zeitung „Die Stimme“ vor, am liebsten aus der Rubrik „Czerno-Witz“: „Ich wurde aus Czernowitz vertrieben nach Wien, dann später bin ich von Wien nach Argentinien. Also, wenn ich noch zweimal in Richtung Westen vertrieben werde, bin ich wieder zurück, wo ich herkam.“ Die Zeitung existierte übrigens noch bis 2017 in gedruckter Form, alle Ausgaben sind online archiviert. Frau Zuckermann erzählt: „Früher war kein Mensch auf den Straßen an den hohen Feiertagen, selbst die Christen hielten dann ihre Läden geschlossen.“ 40.000 Juden haben einst in Czernowitz/Cern²u]i gewohnt, viele von ihnen sprachen neben Jiddisch oder Rumänisch auch Deutsch, was bis in die ausgehenden 40er Jahre die dominante Sprache im multikulturellen Czernowitz war. Szenenwechsel: Zwei ältere Männer treten in die Synagoge, sie streiten sich. Welche Leiter, es solle doch eine neuere geben, die man holen könne. Nicht die Leiter an das Gemälde lehnen. Sie wollen an die Jahreszahlen heran, die über dem Torah-Schrein hängen und die 8 durch eine 9 ersetzen: Aufgenommen wurde der Film im Jahr 5759, nach gregorianischem Kalender entspricht das den Jahren 1998 und 1999. Neben Aufnahmen aus dem Gottesdienst oder vom jüdischen Friedhof sind es solche Beobachtungen des Alltäglichen, die den Film nahbar machen. Besonders hervorzuheben ist hier die Kameraarbeit von Thomas Plenert. Der leitende, subjektive Blick zwingt einem nie etwas auf. Man fühlt sich hineingezogen in diese Bukowina der ausgehenden Neunziger Jahre, ohne dabei zu vergessen, dass man gerade einen Dokumentarfilm sieht: Wir folgen in langen Einstellungen Herrn Zwilling, der durch das sommerliche, geschäftige Czernowitz läuft oder uns das ehemalige jüdische Krankenhaus zeigt, wo ein Großteil seiner Familie arbeitete. Er dreht sich um und erzählt dem Regisseur Volker Koepp und uns vom Schicksal seiner Familie und warum er ein „verkorkstes Leben“ hat. Überhaupt profitiert der Film davon, dass man Koepp immer wieder als Filmemacher hinter der Kamera wahrnimmt. Zu keiner Stelle romantisiert der Film das Schicksal seiner Protagonisten, stellt sie vielschichtig und auch in ihren aktuellen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umständen dar: Sie reden über ihre ausstehenden Rentenzahlungen, den Exodus der jungen Menschen Richtung Westen, dass Frau Zuckermann ohne ihren Nebenverdienst als Nachhilfelehrerin nicht überleben könnte oder die neue Schröder-Regierung. Zugegeben, der Film hat 25 Jahre auf dem Buckel, doch trotz seines Alters hat er kaum an Aktualität und Relevanz verloren. Und er erscheint in einem anderen Licht angesichts der politischen Weltlage und des Krieges in der Ukraine. Herr Zwilling sitzt auf seinem Hocker neben dem Kachelofen und erklärt: „Bei uns fragt man jedes Mal: Wird es gut sein? Ukrainisch, Russisch, da sag ich ‘Ja’,“ und er schiebt hinterher: „Es ist nur nicht klar wann und für wen.“

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