Böses Öl?

Böses Öl?

„Bring doch bitte eine Cremeschnitte mit”, flöte ich ins Telefon. Gefühlte 30 Jahre ist es her seit der letzten… Tja, und dann liegt sie vor mir: Genussvoll steche ich mit dem Gäbelchen zu… schmecke fettige, undefinierbare Pampe! Von vanilliger Puddingcreme und luftigem Blätterteig, dem Geschmack meiner Kindheit, keine Rede. Ich lese das Etikett – und pralle zurück: „Lebensmittelprodukt auf Basis von Pfanzenfetten”. An erster Stelle: hydriertes Palmfett. Gefolgt von Zucker, diversen E’s, Stabilisatoren, Emulgatoren, Säurekorrektoren, Sojalezithin, Farbstoff, Weißmehl… Hilfe, das ist doch kein Lebensmittel!

Mit Sicherheit war dies die letzte Cremeschnitte für die nächsten 30 Jahre… Oder die letzte gekaufte Mehlspeise überhaupt, denn das Schokotörtchen, das mein Mann für sich erstanden hat, schmeckt und liest sich ganz ähnlich. Wir würgen beides herunter, weil man Essen nicht wegschmeißt, und nehmen uns vor, beim nächsten Mal besser aufzupassen. Denn Palmöl gehört für uns schon lange auf die Einkaufs-Tabu-Liste.  

Aber was ist eigentlich so schlecht an Palmöl? Und: Kann man es überhaupt zuverlässig meiden? Oder hat es sich längst in alle Lebensbereiche eingeschlichen, womöglich sogar undeklariert? Und weil es nicht nur ungesund, sondern auch klima- und umweltschädlich ist: Womit könnte man es ersetzen? 

Die Zwickmühle

Palmöl steckt heutzutage in fast allem: Seife, Hautcremes, Waschmittel, Lebensmittel, sogar im Treibstoff. Weil es billig, hitzebeständig und bei Zimmertemperatur geschmeidig ist, werden jährlich rund 77 Millionen Tonnen  produziert, so der World Wide Fund for Nature (WWF). Palmöl gehört zu den begehrtesten Pflanzenfetten der Welt! Es ist billig, weil die Ölpalme produktiv und genügsam ist: Für die Herstellung der selben Menge Soja-, Raps- oder Kokosöl werden deutlich größere Flächen benötigt. Wenn es um die Rodung von Regenwald zugunsten von Ölpflanzen-Plantagen geht, sind diese keine Alternative.

Trotzdem ist auch der Anbau von Ölpalmen ein großes Problem: Um die weltweite Nachfrage an Palmöl zu befriedigen, wird immer mehr gerodet. Gefährdete Tiere wie der Orang Utan oder der Tiger verlieren ihren Lebensraum. Andere nähern sich menschlichen Farmen an, was die Gefahr von Übersprüngen neuer Viren und damit neuer Pandemien bedeutet. Außerdem werden immer wieder Landrechte von indigenen Gemeinschaften missachtet und Kleinbauern von Monokulturen verdrängt. Brandrodung und Trockenlegung von Torfböden setzen enorme Mengen an Kohlendioxid frei und heizen den Klimawandel an. 

Inzwischen nimmt der weltweite Ölpalmenanbau über 20 Millionen Hektar ein – mehr als die Fläche Großbritanniens. Palmöl ist einer der Haupttreiber für die Entwaldung am Amazonas. Doch würde man stattdessen andere Ölpflanzen kultivieren, wäre der Schaden sogar noch größer. Das ist das Dilemma.

Billig kommt teuer zu stehen

Schokolade, Haselnusscreme, Kekse, Tiefkühlpizza, Tütensuppen, Fastfood – all dies enthält heutzutage meist Palmöl. Etwa jedes zweite Supermarktprodukt, verrät NDR-Reporter Uwe Leiterer, der auf seinem Blog über seinen Versuch berichtet, auf Produkte mit Palmöl zu verzichten.

Für Lebensmittel und Kosmetika eignet sich Palmöl, weil es bei Zimmertemperatur fest und cremig ist, bei Körpertemperatur jedoch schmilzt. Sein Geschmack ähnelt dem von Butter. Doch im Gegensatz zu anderen Pflanzenölen ist industrielles Palmöl alles andere als gesund: Es steht nicht nur im Verdacht, an der Entstehung von Krebs und Gefäßerkrankungen beteiligt zu sein, es erhöht wegen seines hohen Anteils an gesättigten Fettsäuren das schädliche LDL-Cholesterin, das die Wirkung von Insulin beeinträchtigt und zu Diabetes führen kann. Außerdem begünstigt Palmöl Schlaganfall und Herzinfarkt. Bei der Verarbeitung unter Hitze entstehen zudem – mehr als bei anderen Pflanzenölen – 3-MCPD- und Glycidol-Fettsäureester, die laut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) als krebserregend gelten. In Tierversuchen löste MCPD Schäden in Leber, Nieren und Hoden aus.

Unbehandeltes Palmöl ist gesund

Wie kann ein Naturprodukt so schädlich sein? Aber – das ist es ja gar nicht! Die gesundheitlichen Risiken beziehen sich nur auf raffiniertes Palmöl, wie es massenhaft in der Industrie eingesetzt wird. Kaltgepresst und unbehandelt ist Palmöl das genaue Gegenteil seines schlechten Rufs: Es enthält ca. 15 mal so viel Carotin (eine Vorstufe von Vitamin A) wie Karotten, ist reich an Vitamin E und an Coenzym Q1, beides Antioxidantien, die freie Radikale bekämpfen und damit Krebs und degenerativen Prozessen vorbeugen. Man erkennt natürliches Palmöl an seiner rötlichen Färbung dank des hohen Carotingehalts. Doch kaltgepresstes Palmöl ist höchsten in Bioläden erhältlich. Außerdem ist es alles andere als billig. Hergestellt wird es von kleinen Farmen, die von Monokulturen zunehmend verdrängt werden. Es gibt aber durchaus zertifizierte Plantagen von Kleinbauern, die mit wenig oder ganz ohne chemischen Pflanzenschutz und Dünger arbeiten und trotzdem gute Erträge erzielen. Doch die Produktion von Bio-Palmöl macht aktuell nur einen Anteil von etwa 0,02 bis 0,03 Prozent des weltweit produzierten Öls aus, so der WWF. 

Verzichten – aber wie?

Wie bei vielen Lebensmitteln ist es der Überkonsum, der den eigentlichen Teufelskreis verursacht. Im Falle der Lebensmittel lautet daher die einfachste Lösung: verzichten! Man kann auch ohne Cremeschnitten leben. Für die eigene Gesundheit lohnt es sich, weniger, aber besser zu essen: natürliche, kaltgepresste Öle, am besten von heimischen Pflanzen. 

Beim Einkauf ist Misstrauen geboten: Eine bekannte Marke „Haselnusscreme” enthält tatsächlich nur 5% echte Haselnuss – woraus mag der Rest bestehen? Erraten: aus Palmöl!

Etwa 75 Prozent des weltweit produzierten Palmöls wird in der Lebensmittelindustrie verwendet. Der Rest entfällt auf Kosmetika, Waschmittel, Kerzen, Lacke und Farben, E-Zigaretten-Flüssigkeit, Pflanzenschutzmittel, Kunststoffe, Tierfuttermittel, Glyzerin, Emulgatoren und Treibstoff. Dort ist für den Käufer meist gar nicht erkennbar, ob die Produkte Palmöl enthalten.

Spätestens beim Thema Treibstoff wird es außerdem verwirrend: Wird pflanzliches Öl nicht als „ökologische Alternative” zum Erdöl gepriesen? Obwohl längst bekannt ist, dass Palmölplantagen den Klimawandel antreiben, erfreut sich das „böse Öl” bei der Herstellung von Bio-Kraftstoffen zunehmender Beliebtheit. Rund 65 Prozent des in die EU importierten Palmöls wird für energetische Zwecke genutzt, informiert der WWF.

Industrielle Verantwortung – Lippenbekenntnisse

Seit über einem Jahrzehnt fordert der WWF eine ökologische und sozialverträgliche Palmöl-Produktion. Weil die wachsende Nutzung von Palmöl zur Rodung tropischer Wälder beiträgt, hat dieser 2004 den „Roundtable on Sustainable Palm Oil“ (RSPO) ins Leben gerufen. Ziel des Runden Tisches ist, möglichst viele Hersteller zur Einhaltung gewisser Standards zu bewegen. Der RSPO ist heute der am weitesten verbreitete Standard im Palmölsektor. 19 Prozent der globalen Produktion sind nach ihm zertifiziert. Doch der RSPO ist kein Öko-Label! Er signalisiert nur, dass auf den Plantagen freiwillig mehr für Naturschutz und Menschenrechte getan wird als gesetzlich vorgeschrieben. 

Die erste „Palmöl-Scorecard” – eine Rangliste des WWF, wie nachhaltig Unternehmen mit dem Thema Palmöl umgehen – zeigte 2009: zertifiziertes Palmöl war, obwohl zugänglich, nicht sehr verbreitet. 

Und noch immer bleiben Unternehmen drastisch hinter ihren Versprechungen zurück: Für die „Palmöl-Scorecard” 2021 wurden 227 große Einzelhändler, Hersteller und Unternehmen aus 24 Ländern befragt. Doch trotz zahlreicher Zusagen der großen Markenhersteller und Supermarktketten, bis 2020 Naturzerstörung aus ihren Palmöl-Lieferketten zu beseitigen, hält sich die große Mehrheit nicht an die Versprechungen! Mehr als ein Drittel der Unternehmen hat auf die Anfrage des WWF gar nicht regiert.

Dennoch werben inzwischen gewiefte Hersteller vollmundig mit dem Slogan „ohne Palmöl” auf einzelnen Produkten. Doch der Blick hinter die Kulissen enttäuscht: insgesamt kommen sie  ihrer Verantwortung nicht nach. Für den Milka-Brotaufstrich „ohne Palmöl“ wurde zum Beispiel Mondelez besonders im Netz gefeiert – ein Blick auf den Rest der Produkte aber zeigt, dass in diesen über 300.000 Tonnen Palmöl verarbeitet werden!

Fazit: Die freiwillige Selbstverpflichtung der Industrie reicht nicht aus, um die riesigen Probleme zu bewältigen. Neben dem verantwortungsbewussten Kunden braucht es hierfür Gesetze. Ein Lichtblick ist zwar das im April vergangenen Jahres erlassene EU-Gesetz, das den Import bestimmter Produkte – neben Kaffee und Soja auch Palmöl – auf nach 2020 abgeholzten Flächen kultiviert, verbietet, wie dpa zuletzt berichtete. Ziel ist, die Abholzung des Regenwaldes vor allem am Amazonas deutlich zu reduzieren. Denn nach Angaben des EU-Parlaments gehen die Rodungen zwischen 1990 und 2020 zu zehn Prozent auf das Konto von Verbrauchern in der EU. 

Doch weitere Gesetzesinitiativen – etwa zur verpflichtenden Deklarierung von Palmöl in Nicht-Lebensmitteln – lassen auf sich warten. Umsonst heißt es, der informierte Kunde bestimmt den Markt, wenn ihm Wissen wissentlich vorenthalten wird. Bis dahin bleibt der Verzicht auf Cremeschnitten & Co. ein Tropfen auf den heißen Stein im Palmöl-Dilemma. Doch jeder Anfang beginnt mit einem Schritt – und steter Tropfen hat schon so manches Fass gefüllt. 

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