Bundestag-Neuwahlen? Das passiert, wenn die Ampel-Koalition fällt

Bundestag-Neuwahlen? Das passiert, wenn die Ampel-Koalition fällt

Weil sich die Ampel zerrüttet zeigt, kommen regelmäßig Forderungen nach Neuwahlen. Auch Teile der Bevölkerung hegen diesen Wunsch. Doch das wäre kompliziert. CDU-Parteichef Friedrich Merz hat sogar schon ein Datum im Kopf. “Wenn die Bundesregierung vorzeitig scheitert und es tatsächlich Neuwahlen gibt, bietet sich als Termin der 22. September dieses Jahres an”, sagte er kürzlich den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Auch wenn die Ampelpolitiker empört reagierten und FDP-Vize Wolfgang Kubicki Merz des “Größenwahns” bezichtigte: Es war nicht das erste Mal, dass Forderungen nach Neuwahlen aufkamen, zumeist aus den Kreisen der Opposition. So meinte auch BSW-Parteigründerin Sahra Wagenknecht , es sei besser, “wenn die desolate Ampel sich nicht länger an die Macht klammert und wir möglichst bald den Bundestag neu wählen könnten.” CSU , AfD und die Linken sparen ebenfalls nicht mit Rufen nach einer baldigen Neuwahl. Rund ein Drittel der Bevölkerung geht laut einer Forsa-Umfrage derweil sogar davon aus, dass es zu einem vorzeitigen Ende der Ampel kommt. Doch wie realistisch sind Neuwahlen und was müsste konkret passieren, damit die Regierung ihre Koalition tatsächlich beendet? “Den Bundestag aufzulösen, ist aus historischen Gründen nur in spärlichen Konstellationen möglich”, erklärt der Verfassungsrechtler Prof. Walther Michl von der Bundeswehruniversität München im Gespräch mit t-online. Über Neuwahlen kann nur Kanzler Scholz bestimmen Grundsätzlich gilt: Ohne den Bundeskanzler geht nichts. Solange die SPD und Olaf Scholz nicht zustimmen, sind die Forderungen ohnehin obsolet. Will dieser den Bundestag nicht auflösen, gibt es keine Möglichkeit für Neuwahlen. Denn der Bundestag selbst hat keine Befugnisse zur Selbstauflösung. Und so führen Neuwahlen nur über den Weg der Vertrauensfrage des amtierenden Kanzlers. Erst wenn er diese dem Parlament stellt und wenn ihm dann von der Mehrheit der Abgeordneten das Vertrauen entzogen wird, kann er den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier um die Auflösung des Parlaments und um Neuwahlen bitten. Doch selbst dann wäre eine Neuwahl nicht garantiert: Sollte dieses Szenario tatsächlich eintreten, hätte es im Normalfall bereits informelle Gespräche zwischen Scholz und seinem Parteifreund Steinmeier gegeben. Denn theoretisch hätte der Bundespräsident die Pflicht, sich nach alternativen Bundeskanzlern umzusehen, die die Mehrheit der Abgeordneten hinter sich haben. “Das ist eine Ermessensentscheidung des Bundespräsidenten und eine der wenigen politischen Rollen, die er hat”, erklärt Michl. Dreimal ist es in der Historie der Bundesrepublik zu Neuwahlen gekommen: Unter den Kanzlern Willy Brandt 1972, Helmut Kohl 1982 und Gerhard Schröder 2005. Sie alle haben die Vertrauensfrage gestellt und sind absichtlich gescheitert, um Neuwahlen zu ermöglichen. Während dieses Mittel in Deutschland also eine absolute Ausnahme ist, kommt es in Ländern wie Italien regelmäßig zu Neuwahlen außerhalb des vorgesehenen Zyklus. Aktuelle Regeln als Lehre aus der Vergangenheit Die Gründe liegen hierzulande in den schlechten Erfahrungen der Vergangenheit, verdeutlicht Verfassungsrechtler Michl: “Stabile Regierungen sind eine der Lehren aus der Weimarer Republik.” Damals konnte das Parlament den Kanzler mit einem Misstrauensantrag absetzen und der Präsident Kanzler auch ohne Mehrheit im Parlament einsetzen. Die Folge waren ständig wechselnde Regierungen und handlungsunfähige Parlamente. Doch es gibt auch heute noch ein Szenario, wie der Kanzler vom Parlament abgesetzt werden kann. Mit dem konstruktiven Misstrauensvotum kann eine Mehrheit im Bundestag den Kanzler entlassen – aber nur, wenn gleichzeitig ein neuer Kanzler gewählt wird. Dazu müssten aber entweder Grüne und FDP gemeinsam oder die SPD mit der Union stimmen und sich gemeinsam auf einen neuen Kanzler einigen. Nur so wäre eine absolute Mehrheit gegeben. Die Linke könnte aufgrund der zu geringen Abgeordnetenzahl ebenso wenig neue Mehrheiten herbeiführen wie die AfD, mit der die Zusammenarbeit von allen Parteien ausgeschlossen wird. Aber auch einen solchen Kanzlerwechsel hat es in der Geschichte der Bundesrepublik bereits gegeben: Im Jahr 1982 hatten die Abgeordneten den SPD-Kanzler Helmut Schmidt gestürzt, um Platz für Helmut Kohl zu machen. Neue Koalition oder Minderheitsregierung: “Juristisch unbedenklich” Doch ein Regierungswechsel muss nicht unbedingt immer von einer Mehrheit der Abgeordneten mitgetragen werden. Theoretisch wäre auch ein Koalitionswechsel innerhalb einer Legislaturperiode möglich, ganz ohne verfassungsrechtliche Hürden, wie Jurist Michl erläutert: “Die Koalitionspartner zu wechseln, wäre politisch eine echte Hausnummer, juristisch aber unproblematisch.” Schließlich darf der Bundeskanzler die Minister beliebig austauschen, theoretisch sogar ganz ohne Absprache mit dem Parlament. Würde die SDP also einen Wechsel zur Großen Koalition anstreben, könnte Scholz diesen tatsächlich umsetzen – zumindest in der Theorie. Schließlich hatte Markus Söder bereits angeboten, als Juniorpartner einzuspringen, um die Ampel zu ersetzen. Auch Minderheitsregierung möglich Doch ein Bruch der Ampel müsste nicht zwangsläufig auch einen neuen Koalitionspartner bedeuten. In einigen Staaten regiert auch eine Minderheitsregierung, ebenso in Thüringen. Lässt die FDP also die Koalition platzen, könnten Grüne und SPD auch mit wechselnden Mehrheiten weiterregieren. In der Praxis sieht Michl dafür aufgrund der Zusammensetzung des Bundestags aber keine Möglichkeit: “Besonders heikel wird es bei den Haushaltsgesetzen. Da könnte die AfD einen Streich spielen und aus taktischen Gründen zustimmen.” Und auch wenn juristisch alles in Ordnung wäre: “Wenn eine Regierung keinen Haushalt hat, ist die Vertrauensfrage politisch unvermeidbar.” Und dann wäre der Weg frei für Neuwahlen. Allerdings wäre das ein weiter Weg.

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